Luigi Boccherinis «La Casa del Diavolo» – Don Juan in Sturm und Drang


Die Entdeckung der «Italianità» als Mode und kultureller Lifestyle fällt ins italienversessene 18. Jahrhundert. Italienische Kultur wurde dabei aber nicht nur zum touristischen Ziel, sondern auch zum Exportartikel. So finden wir denn auch Luigi Boccherini im Jahr 1771, im Entstehungsjahr seiner d-Moll-Sinfonie, am Königshof von Madrid. Dorthin geführt hatten ihn ausgiebige Tourneen, die er als reisender Cellovirtuose durch ganz Europa unternommen hatte (von seiner intensiven Cello-Tätigkeit zeugten noch 1995 seine exhumierten sterblichen Überreste, die auf typische Cellistenleiden wie Halswirbel-Arthrose und Mittelhand-Entzündungen schliessen lassen). Ein spanischer Botschafter hatte den Virtuosen in Paris gehört und 1768 an den Madrider Hof vermittelt, wo sich Boccherini in einem sesshafteren Leben nun seinem kompositorischen Schaffen widmete. Einem Schaffen, das zur Hauptsache der Kammermusik galt und beiläufig – aus ganz praktischen Gründen – eine neue Gattung ins Leben rief: Ein vorhandenes Streichquartett plus ein zugereister Cellist ergibt ein Streichquintett, Boccherinis ureigenste Erfindung, die er mit mehr als 150 Werken bedachte. Daneben entstanden über hundert Streichquartette (zeitgleich mit Haydn!), Cellokonzerte, ein «Stabat Mater» und diverse weitere Kompositionen, die meist sogleich in Paris veröffentlicht wurden, was Boccherini, nachdem er vom spanischen Hof nacheinander in den Diensten Friedrichs des Grossen, Friedrich Wilhelm II. und schliesslich des französischen Botschafters in Madrid und Napoleon-Burders Lucien gestanden hatte, freilich nicht vor einem Ende in Armut und seine Musik vor nahezu gänzlicher heutiger Vergessenheit verschonen konnte. Auch unter seinen zwanzig Sinfonien ist eine einzige, Opus 12/4 in d-Moll, heute noch beliebt. Vielleicht liegt dies auch an ihrem verheissungsvollen Titel, den sie einer zeitgenössischen Anspielung verdankt: «Ciaccona che rappresenta l’Inferno, composta a imitazione di quella del Sig. Gluck nel suo Festin de pierre» ist der dritte Satz (Allegro assai) überschrieben. Auf Glucks pantomimisches Ballett Don Juan ou le Festin de pierre bezieht sich Boccherini also, wenn er seine Sinfonie La Casa del Diavolo betitelt. Der Bezug ist konkret: Glucks Chaconne espagnole wird am Anfang des Schlussatzes fast wörtlich zitiert, weitere dramatische Reminiszenzen seines Don Juan tauchen in der Folge auf. Darüber hinaus aber ist der ganzen Sinfonie ein romantischer Sturm-und-Drang-Zug eigen, der sich in formaler Experimentierlust (etwa in der zyklischen Wiederholung der Kopfsatz-Einleitung im letzten Satz), in harmonischen Ideen (etwa im dramatischen Moll-Dur-Wechsel zu Beginn) und in effektvollen Kontrasten (legato-staccato im eleganten Mittelsatz) äussert. – Der Don-Juan-Mythos im Konzertsaal, lange vor Richard Strauss und seiner Programmmusik: auch musikhistorisch ein höchst bemerkenswertes Phänomen!

©Michael Eidenbenz