Polyphone Malerei – Paul Klees musikalisches Kunstverständnis


Dass Paul Klee die Laufbahn eines Berufsmusikers hätte einschlagen können, ist keine abwegige Vorstellung. Klee selber spielte in seinen jungen Jahren intensiv mit diesem Gedanken, sein Geigenspiel war so weit fortgeschritten, dass er bereits als Gymnasiast in den Konzerten der Berner Musikgesellschaft mitwirken konnte, und wenn er später während seines Münchner Kunststudiums in den Briefen an Eltern und Freunde immer wieder seine Abkehr vom professionellen Musizieren betont («die Violine ist eingeschneit» ... «ich musiziere nur noch in Gesellschaft» ... «von Schwanken keine Spur, sondern ich bin ganz sicher, dass ich dazu (zur Kunst) geboren bin, nicht aber zur Musik»), so wirkt dies bisweilen, als müsste er sich selbst überzeugen. Die Musik begleitete ihn aber Zeit seines Lebens und nahm schliesslich auch direkten Einfluss auf die Malerei. 1905 notierte Klee in sein Tagebuch: «Immer mehr drängen sich mir Parallelen zwischen Musik u. bildender Kunst auf. Doch will keine Analyse gelingen. Sicher sind beide Künste zeitlich, das liesse sich leicht nachweisen.» Was hier noch als schnell hingeworfene Behauptung aufscheint, fesselte als prägender Gedanke Klee zusehends stärker: Wie lässt sich der lineare zeitliche Verlauf der Musik in der Malerei wiedergeben, bzw. wie ist auf die Erfahrung, dass auch räumliche Wahrnehmung zeitlich ist, malerisch zu reagieren? «Auch des Beschauers wesentliche Tätigkeit ist zeitlich ... Dem gleich einem weidenden Tier abtastenden Auge des Beschauers sind im Kunstwerk Wege eingerichtet ... Das bildnerische Werk entstand aus der Bewegung und wird aufgenommen in der Bewegung», schreibt er in einem Text mit dem Titel «Graphik». Und schliesslich kommen zur zeitlichen Linearität auch noch die Erfahrungen simultaner Gleichzeitigkeit hinzu: «Es muss das Teuflische zur Gleichzeitigkeit mit dem Himmlischen verschmolzen werden ... denn die Wahrheit erfordert die Berücksichtigung aller Elemente», schrieb er 1917 an seine Frau. In der Musik ereignet sich Gleichzeitigkeit durch die Polyphonie, und «Polyphonie» sollte auch für Paul Klee zu einem zentralen Stichwort werden. Bildtitel wie Fuge in rot, polyphon gefasstes weiss, Polyphonie oder auch die zeichnerische Übertragung von Ausschnitten aus Werken Bachs zeugen von der Parallelität der Gedanken. In polyphon gefasstes weiss (1930) etwa fügen sich, gegen den Blattrand zunehmend dichter, Schichten transparenter Aquarellfarben um ein ausgespartes weisses Zentrum. Und in Polyphonie (Tempera auf Leinwand, 1932) wird ein in Parzellen unterteilter Farbgrund mit dichten kontrastierenden Farbtupfen überzogen: Dieses «Pointillieren» dient dazu, die Individualität der «Stimmen» zu wahren, wobei es gilt, «die Polyphonie zwischen Untergrund und Atmosphäre ... so locker wie möglich» zu halten. – Das farbige «Pointillieren» über dem Untergrund, das zum Ganzen kontrastierende Detail: Dies sind exakt die Elemente, die beispielsweise Anton von Webern in seiner Bach-Bearbeitung verwendete. Zeitgleich mit Klees Bestrebungen und doch unabhängig von ihm – in jenen Jahren, als synästhetisches Denken in der Luft lag.

©Michael Eidenbenz